Nur Fliegen ist schöner; ein Besuch bei Airbus
"Bus – welcher Bus, verdammt, wozu ein Bus?" Es ist Mittwoch der 22. September 2010. Wir stehen in Peking vorm Hard Rock Cafe und unsere Übersetzerin Dingjing erklärt mir, dass Airbus sich freut uns zu empfangen – mit einem Bus!
Kurzfristig haben sich die Kollegen überlegt, uns die einzigartige Möglichkeit zu geben gleich zwei Airbus-Standorte an einem Tag zu besichtigen. Zum einen hatten wir plötzlich einen Termin mit dem Airbus Training Center Beijing und zum anderen ging es nun auch zur A320 Produktionslinie Tianjin. Leider mit dem Haken das 150km Straße beide Standorte trennen. Wer die Straßenverhältnisse kennt, weiß, dass wir etwa drei Stunden unterwegs waren. Doch das war es Wert!
So hieß es nun also am 22. September keine Besichtigung des Kunstviertels 798 (siehe auch Bericht von Carolin), sondern auf in die Vertragswelten Chinas. Ein Bus war zu organisieren.
Nicht einfach, wie sich herausstellte, als Simon, Dingjing und ich unterwegs mit der U-Bahn in Richtung Unbekannt waren. Die anderen Teilnehmenden bestaunten Chinas Kunstwerke – und wir? Ein wenig Unmut machte sich breit.
Angekommen am Platz des Himmlischen Friedens entschieden wir uns aus der Arbeit Vergnügen werden zu lassen. Mit unserer Übersetzerin, die uns nun eine Schnell-Stadtführung gab, erhaschten wir Ansichten hunderter Monumente und Sehenswürdigkeiten.
Wenig später und nach mindestens 10 Telefonaten Dingjings mit potentiellen Busunternehmen kamen wir an. Ein etwas schäbig aussehendes Hotel steht vor uns. Wir gehen hinein und es eröffnet sich Marmorboden mit edler Holzrezeption. Wie so oft in China: Innen hui und Außen pfui. Wir werden zu einem angemieteten Büro geleitet. Die Tür öffnet sich und hinter einer Wand aus Rauch wird ein mit Brandflecken übersäter Teppich sichtbar. Zwischen Papierstapeln sitzen die "Manager" – vertrauenerweckend. Dingjing verhandelt, wir setzen uns, nachdem die Couch ausgemacht war. "Alles OK" hören wir, hier unterschreiben, da anzahlen. Unterschreiben; ein einseitiges Dokument mit schickem rotem chinesischen Stempel ùnd großem Stern wird mir vorgelegt: komplett in Chinesisch. Dingjing erkennt bereits an meinem Blick, dass es wieder ans Übersetzen geht. Gutmütig übersetzt sie jeden Absatz und es klingt gut. Die Sache scheint sicher. Ich unterschreibe mit dem Gefühl China vielleicht doch schneller verlassen zu müssen als mir lieb sein wird.
Freundlich verabschiedet man uns und verweist nochmals auf die fällige Restzahlung bei Fahrtende.
Nach Verlassen des Gebäudes Erleichterung. Der Bus ist organisiert. Durch die Entspannung wird erstmals die ganze Umgebung sichtbar. Wir befinden uns in einer kleinen Straße. Links und Rechts kein Souvenirverkäufer, kein Touristeninformationsbüro. Nur Chinesen, kleine Garagengeschäfte, Häuschen mit zwei Etagen: mitten in Peking haben wir Peking entdeckt. Die Straße erstreckt sich einige hundert Meter und wir schwelgen in einer Kulisse aus Gebäuden, die aussehen als entstammten sie unserer Fantasie über China.
Wenige Ecken später: Qianmen Street. Eine von der Regierung gebaute, hoch moderne Einkaufsstraße in altem Gewandt, südlich des Platz des Himmlischen Friedens. Welten treffen aufeinander und ich freue mich in touristischer Umgebung auf unsere Busfahrt zu Airbus.
Zwei Tage später: 06:00 Uhr aufstehen, Airbustermin! Ein wenig Nervosität macht sich breit: Wird der Bus bereitstehen, werden alle Meetings klappen, werde ich am Ende des Tages noch die riesige Restzahlung für den Bus in meiner Tasche finden?
Erste Erleichterung setzt ein, als ich unseren Bus sehe. Wenig später schunkeln alle auf den breiten Stadtstraßen zum Airbus Trainingscenter Peking. Nette Mitarbeiterinnen empfangen uns nach einer kurzen Irrfahrt durch ein Industriegelände und stellen uns die typischen Umhängeschilder aus. Schick und der Beweis: wir haben es geschafft. Stolz auf unser Organisationsteam und glücklich über die Unterstützung von Airbus Industries geleiten uns drei Mitarbeiterinnen durch das Airbus Trainingscenter. Viele Räume, Treppen und Flure voll mit spannenden Einblicken in die Piloten- und Crewausbildung gibt es zu sehen. Und hinter jeder Tür tut sich ein neuer Aspekt des Trainingslebens auf. Leider sind die Notrutschen nicht aufgeblasen, denken sich sicher einige Teilnehmende unserer Reisegruppe, als es in eine riesige Halle mit Emergency Simulator ging. Flugzeugrumpfzellen stehen dort vor uns, auf die Realitätshöhe aufgeständert. Hier rennen also die kreischenden Testprobanden und beruhigenden Crewmitglieder, denke ich mir, bevor ich mich wieder auf unsere Begleitung konzentriere.
Unsere Airbus-Begleiterinnen erklärten uns, dass viele Airlines hier trainieren. Insbesondere das Niveau der chinesischen Standards seien mit europäischer Unterstützung gestiegen. Während wir reden geht es weiter. Den Flugsimulator können wir leider nur von außen bestaunen. "Training everytime" war der prägende Satz dieses Besuches.
Da offenbar nur Dingjing die genauen Absprachen in China kennt und auch auf chinesisch weiter verhandelt wurde, verabschiedete man unsere Gruppe zum nächsten – unerwarteten – Event. Ein junger Kollege des Airbus Support Centre begrüßt uns fünfzig Meter weiter. Anscheinend erfreut über eine deutsche Gruppe von Studierenden erklärt uns der Mitarbeiter aus welcher Ecke Deutschlands er komme, wie toll China ist und bringt eine verblüffend flüssige Überleitung zu seinem Arbeitgeber zustande. Alle freuen sich über die deutschen Erklärungen und betreten nach kurzer Firmenerläuterung das angrenzende Gebäude. Alles ist groß, modern und scheint fast schon familiär. "Der Support kümmere sich um alle Anfragen von Airlines die Flugzeuge betreffend", erklärte man uns, während wir durch Büros mit Schreibtischen, Computerarbeitsplätzen und telefonierenden Angestellten laufen. Neben Fotos und Flugzeugmodellen geht es Tür um Tür weiter bis plötzlich, wie schon im Trainingscenter, ein großer Raum unsere Umgebung bestimmt. Ein Lager. Voll mit Flugzeugteilen, von Ersatz- bis hin zu Neuteilen. Alles war vorhanden. Unser Guide erklärt uns Inhalte, Klimaprüfungsmechaniken, Kistenarten und -farben. Auffallend war sicher ein grelles Orange. Um so interessanter die Antwort: "in diesen Kisten lagern Konstruktivteile, welche nicht kaputt gehen sollten, aber falls doch, dann sind sie da".
Leider konnten einige von uns nicht Schatzjäger spielen und die Holzkisten aufbrechen, doch spannend blieb es. Bei den Teilnehmenden auf Grund der Führung und bei mir wegen vermuteter weiterer Überraschungen.
Und wie gedacht, so kam es auch: Man verabschiedete uns aus einem anderen Hallenausgang, freute sich über ein baldiges Wiedersehen und übergab uns an Kollegen des Airbus Engineering Centre. Die jungen Angestellten führten uns durch Büros. Trotz Mittagessens gab es fleißige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Laut chinesischem Gesetzt übrigens mit einer Frauenquote von 50%. Gerne erklärte man uns hier das Arbeiten in weltweiten Projektgruppen, die CAD-Programmnutzung und die Kommunikation in mindestens drei Sprachen (Chinesisch, Englisch, Französisch). Kaum kennengelernt ging es weiter in die Chefetage. Ausführlich erörterten die Verantwortlichen internationale Arbeiten und das Konstruktionsprojekt des A350 XWB mit leicht spanischem Akzent. Glücklich über zehn Minuten Zeit am Ende des Vortrages, konnten wir hier nun auch sehr konkret mit den Geschäftsführern ins Gespräch kommen.
Doch im Blickwinkel sah ich auch Dingjing und unsere chinesische Airbus-Begleitung Frau Song. Beide tippten auf die Uhr und so wanderten wir weiter. Zum Ausgangspunkt des Tages, wie ich annahm. Doch das Beste hebt man sich bekanntlich zum Schluss auf.
Man führte uns in einen großen Präsentationsraum, alle nahmen Platz. Die Füße qualmten von den ersten Stunden des Tages. Gespannt auf das was kommen wird verriet niemand etwas über das bevorstehende Ereignis, was plötzlich in den Raum stürzte.
Ein schick gekleideter Mann sprang dynamisch durch die Tür direkt auf die Bühne begrüßte uns mit breitem Lächeln und begann zu fragen. Zwischendurch stellte er sich als Mr. Lim vor, der ganz nebenbei auch GeneralManager der Hua-Ou Aviation ist. Nach einigem Googlen war leicht herauszufinden, dass er alles bisher gesehene gemeinsam mit den europäischen Firmenpartnern managte. Er fragte uns viel, sodass auch wir schnell mit ihm ins Gespräch kamen und ein hoch interessanter und lockerer Vortrag über Airbus Industries und die Hua-Ou Aviation entstand. Freundlich im Gesprächsablauf beendeten wir unser gemeinsames Treffen mit unserer Geschenkübergabe und bekundeten unsere Freunde über ein mögliches Wiedersehen.
Die Mägen knurrten und langsam wollten alle das bisher Erlebte auch in der Gruppe auswerten. So war es nur logisch, dass es nun ans Mittagessen ging. Natürlich sollte es in die Airbus-Kantine gehen, doch empfahl man uns ein kleines Restaurant, was sich als überdimensioniertes Einkaufscenter mit Restaurants entpuppte.
Nach reichhaltigem Essen und großem Gesprächsanteil ging es dann weiter. Diesmal in den Bus zum Fahrtantritt nach Tianjin.
Etwa drei Stunden fuhren wir über die Autobahn. Vorbei an Feldern und Flüssen. Einsam sah die Landschaft außerhalb von Peking aus. Einsam und zerwühlt. Überall arbeiteten Baustellenfahrzeuge, Äcker waren aufgewühlt und Baugruben erstreckten sich über weite Strecken. Ab und zu war ein Bauer zu sehen, der, anders als man es erwarten würde, ein wenig an Pflanzen rumzupfte.
Die eintönige Landschaft ermüdete alle und so nutzten wir die Zeit für eine Ruhepause. Gefühlte 30 Minuten später standen wir dann vor den Toren des Airbus Werkes Tianjin. Hier wird der A320 produziert, lackiert und Probe geflogen. Fast alle Teile kommen noch aus Europa, per Schiff. Einige werden aber auch schon vor Ort gefertigt. Das Management begrüßte uns und erklärte viele Sachverhalte. Interessant erschienen Anekdoten, welche bei der Zusammenarbeit mit China entstanden.
So hatte man vor, den bestehenden Flugplatz und das Airbus-Gelände mit einer Rollbahn zu verbinden. Als die Verantwortlichen wenige Monate später jedoch den Lageplan erneut betrachteten, war eine zweite Startbahn am Flugplatz geschaffen, die nun den direkten Anschluss an den bestehenden Airport herstellte. Auch eine Straßenbrücke, für die nach europäischem Maßstab mehrere Jahre Planungs- und Bauzeit eingeplant war, entstand binnen zwei Monaten.
Kein Wunder also, dass auf pünktliche Produktion höchsten Wert gelegt wird. Und daher begannen auch wir pünktlich unsere Fahrt mit dem Bus über das Werksgelände hin zu den Produktionshallen.
Viele Menschen arbeiteten hier bei beruhigender Musik an der A320. Vier Flugzeuge können aktuell pro Monat ausgeliefert werden. Alle für den chinesischen Markt, wie man eindrucksvoll erklärte. Weiter ging es, unter schärfster Bewachung, mit persönlichem Sicherheitsberater, auch durch andere Hallen und über Vorfelder. Spannend bis zum Schluss!
Das fand auch unser Busfahrer, der das erste Mal über eine Rollbahn fahren durfte und auch auf der Rückfahrt nach Peking fuhr, als hätte er die gesamte Autobahnbreite für sich allein.
Geschafft vom Tag, voll neuen Wissens, sortierend in Gedanken ließen wir so einen weiteren Tag in China ausklingen. Einen Tag der Zukunft zeigte; vielleicht auch für uns.